Fatigue - Mehr als nur ein bischen müde sein...

Stellt euch vor, ihr seid ständig müde, so müde, dass selbst die einfachsten Alltagsaufgaben wie ein Marathon wirken. Diese Erfahrung machen viele Menschen mit Fatigue im Rahmen von Long Covid. Besonders beunruhigend ist, dass diese Erschöpfung oft nicht durch Ruhe oder Schlaf gelindert wird. Menschen können nicht mehr arbeiten, Kinder können nicht mehr in die Schule gehen, eine extreme Belastungsprobe für Patienten und ihr Umfeld. Da Long Covid zunehmend mehr Menschen betrifft, ist es wichtig, die zugrundeliegenden Mechanismen zu verstehen und effektive Behandlungsmethoden zu entwickeln. Diese müssen - aus unserer Sicht - immer individuell sein. Denn Gehirne sind verschieden. Jedes Nervensystem, besonders jedes kränkelnde Nervensystem, ist anders. 

1. Die Neurologie und Neuroanatomie der betroffenen Gehirnareale

Bild aus: On The Origin of Interoception. Ceunen, Vlaeyen & Van Diest

Die Inselrinde des Gehirns spielt bei Fatigue wahrscheinlich eine Schlüsselrolle. Dieses kleine, aber mächtige Gebiet liegt tief im Gehirn, versteckt unter den Gehirnlappen. Die Inselrinde spielt die absolute Schlüsselrolle für unsere Resourcenmanagement. Als Schlüsselinstanz unseres inneren Empfindens (Interozeption) überwacht und kontrolliert sie unsere autonome Bedürfnisse und sagt sie sogar voraus: Sie kann im Normalfall abschätzen, wie viel Muskelkraft es kosten wird, eine Treppe hinaufszusteigen und inwiefern der Blutdruck dafür reguliert werden muss. Sie arbeitet also prädiktiv, indem sie den aktuellen Zustand des Körpers zu überwacht und ihn auf kommende körperliche Anforderungen vorbereitet. Die Inselrinde macht aus Inputsignalen aller sensorischen Systeme ein "Gefühl" - welches uns dann bewusst wird. Ob wir Hunger oder Durst haben, uns gut oder schlecht fühlen, ob wir Müdigkeit und Erschöpfung spüren oder Schmerzen haben - die Inselrinde ist "in charge".  Anatomisch lässt sie sich in drei Hauptbereiche gliedern. 

  • Vordere Inselrinde: Hier werden Emotionen und das Körperbewusstsein zur Weitergabe an den Frontallappen verarbeitet.
  • Mittlere Inselrinde: Dieser Bereich ist an der Aufmerksamkeitssteuerung und Bewusstsein beteiligt. Hier werden verschiedene sensorische Informationen integriert
  • Hintere Inselrinde: Sie ist wichtig für das Körperbewusstsein und die Integration von sensorischen Signalen aus dem Körper

Gray, Public domain, via Wikimedia Commons

Diese Areale sind eng mit anderen Gehirnregionen wie dem Thalamus und dem präfrontalen Cortex vernetzt, was für die Regulierung von Emotionen und Stressreaktionen entscheidend ist.

2. Mögliche Mechanismen der Pathogenese

a) Viren: Viren, wie das SARS-CoV-2, können das zentrale Nervensystem angreifen und Entzündungsreaktionen auslösen. Diese Entzündungen können die Funktion der Inselrinde beeinträchtigen und damit ein Wirrwarr an Emotionen auslösen, zu denen auch Fatigue gehören kann.

b) Schilddrüsenunterfunktion: Eine Unterfunktion der Schilddrüse kann zu einer verringerten Produktion von Schilddrüsenhormonen führen, was wiederum die Energieproduktion und Stoffwechselrate des Körpers beeinträchtigt. Dies kann zu einer chronischen Erschöpfung beitragen. Mit Blutwerten von T4 und T3 kommt man hier jedoch nicht weiter. Sie geben keine echte Information darüber, ob das Schilddrüsenhormon auch seinen Job in den Zellen richtig machen kann. Aber es gibt andere Möglichkeiten einer soliden Diagnostik, für die man kein Labor braucht: Die gute alte Temperatur/Puls Messmethode nach Dr. Broda Barnes einerseits und den Achillessehnen-Reflex-Test, auch Woltmans Zeichen genannt andererseits.

c) mRNA-Impfungen: mRNA-Impfungen sollten eine sichere und effektive Methode zur Vorbeugung von COVID-19 sein. Das Versprechen wurden nicht wirklich eingelöst. Viele Menschen berichten Menschen über kurzfristige Fatigue-Symptome nach der Impfung. Bei einigen Menschen verschlimmern sich auch Symptome von Fatigue nach der Impfung. Es wird schwer festzustellen sein, wie gross der Anteil der neuartigen Gentherapien an der Pathogenese verschiedener Krankheitsbilder wirklich ist. 

4. Individuelle Strategien der Inselrindenrehabilitation

Die Rehabilitation der Inselrinde kann durch verschiedene Ansätze unterstützt werden:

  • Achtsamkeitsmeditationen sowie progressive Muskelrelaxation nach Jacobson aktivierten die Inselrinde allerdings gibt es Unterschiede in den Aktivierungsmustern, die entweder individuell hilfreich oder eher unwirksam sein können.
  • Angepasste körperliche Aktivität: Regelmäßige, moderate Bewegung verbessert die Durchblutung des Gehirns und trägt zur Heilung bei. Besonders isometrische Kontraktionen können hilfreich sein.
  • Ernährung: Pro metabolische Ernährung kann entzündungshemmend wirken und die Energieversorgung und somit die Gehirngesundheit fördern.
  • Stressmanagement: Techniken zur Stressbewältigung können dazu beitragen, die Belastung für das Gehirn zu reduzieren und die Erholung zu fördern.
  • Individuelles neurozentriertes Training. Wir wissen, dass beide Hemispären der Inselrinde durch verschiedene Stimuli aktiviert werden können. Diese können wir benutzen, um die Funktionsweise der Inselrinde zu normalisieren. Ein paar Beispiele
    • Die linke Hemisphäre der Inselrinde.
      * Sie ist mehr parasympathisch
      * reagiert auf unangenehme Gerüche des rechten Nasenlochs
      * uvm.
    • Die rechte Insula hingegen bekommt
      * mehr efferenzen durch mehr sympathische Fasern
      * wird durch angenehmen Geruch im linke Nasenloch aktiviert
      * ebenso durch angenehmen Geschmack auf der rechten Seite der Zunge
      * und durch Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit über längere Zeiträume
      * sowie Blicksprünge nach links
      * durch Schlucken
      * durch auditive Lokalisierung und Verfolgung von Geräuschen uvm.
    • Es gibt verschiedenste Atemtechniken, die ganz gezielt zur Aktivierung des Symphatikus oder des Vagusnervs genutzt werden können. Der Vagusnerv aktiviert die Inselrinde ebenso. Der Vagusnerv bekommt sehr viel Aktivierung von freien Nervenenden, den sogenannten C-Fasern. Besonders viele davon finden wir im Bauchraum. 
    • Zungenübungen und Vagusaktivierungen sind sehr gute Inselrinden-Reize, ebenso Beckenbodenübungen.

Diese und weitere Aktivierungen (und Hemmungen ebenso) können wir im Rahmen eines persönlichen 1:1 Coachings oder idealerweise in unserem 24-Wochen Online-Gruppentraining erklären und sie können sie für sich selbst testen. Dabei gibt es einige Dinge, die sie beachten müssen. Denn man kann in der Anwendung durchaus Fehler machen und Symptome können sich verschlimmern. Also besser nicht auf eigene Faust loslegen, sondern mit Support von erfahrenen Neuro-Trainern und betreut von einem motivierten Mediziner trainieren.

(Referenzen weiter unten)

Mehr Informationen findest Du auch in diesem Blogartikel

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Einige relevante Quellenangaben zum Thema Insular Cortex und seine Funktionen, die im Kontext von Fatigue und Chronic Fatigue Syndrome bei Long Covid hilfreich sein können:

  1. Gogolla, N. (2017). "The insular cortex". Current Biology. 

  2. Benarroch, E.E. (2019). "Insular cortex: functional complexity and clinical correlations". Neurology. 

  3. Evrard, H.C. (2019). "The organization of the primate insular cortex". Frontiers in Neuroanatomy. 

  4. Droutman, V., Bechara, A., Read, S.J. (2015). "Roles of the different sub-regions of the insular cortex in various phases of the decision-making process". Frontiers in Behavioral Neuroscience.

  5. Rolls, A. (2023). "Immunoception: the insular cortex perspective". Cellular & Molecular Immunology. 

  6. Lu, C., Yang, T., Zhao, H., Zhang, M., Meng, F., Fu, H. (2016). "Insular cortex is critical for the perception, modulation, and chronification of pain". Neuroscience Bulletin. 

  7. Uddin, L.Q. (2015). "Salience processing and insular cortical function and dysfunction". Nature Reviews Neuroscience. 

  8. Livneh, Y., Sugden, A.U., Madara, J.C., Essner, R.A. (2020). "Estimation of current and future physiological states in insular cortex". Neuron. 

  9. Rogers-Carter, M.M., Varela, J.A., Gribbons, K.B. (2018). "Insular cortex mediates approach and avoidance responses to social affective stimuli". Nature Neuroscience. 

  10. Livneh, Y., Andermann, M.L. (2021). "Cellular activity in insular cortex across seconds to hours: Sensations and predictions of bodily states". Neuron. 

  11. Cobb, Eric, (2019), "The Next Evolution" Seminarunterlagen 
  12. Craig, A.D., (2015) "How do you feel? An interoceptive moment with your neurobiological self". Princeton University Press 
  13.  Ceunen, E.2016)On the Origin of Interoception. Frontiers of Psychology. 

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